Die Einladung für eine Charleston-Party in Boston während der wilden 20er-Jahre? Listen für illegale Alkoholbezugsstellen während der Prohibition? Aktuelle Preislisten für das brandneue Ford Modell-T? Vielleicht waren dies die ersten Drucke, der damals fabriksneuen Golding Pearl Improved No. 8, die seit Mitte März diesen Jahres in meinem Laden in Innsbruck steht.
Inzwischen sind fast hundert Jahre vergangen und die Liste der möglichen Drucke ist lang. Was wurde während dem zweiten Weltkrieg gedruckt? Als der kalten Krieg wütete? Die USA auf dem Mond gelandet sind und die Kubakrise brandgefährlich war? In den 60ern vielleicht auch Tickets für ein Elviskonzert? Vor einigen Jahrzehnten ist sie wohl ausrangiert worden, landete im Keller einer amerikanischen Druckerei und bekam keine Arbeit mehr. Nach sechzig Jahren in den Ruhestand. Zum Glück nicht verschrottet.
Anfang der 90er wurde wieder leise Hoffnung erweckt als Martha Steward den Begriff Letterpress bekannt machte. Eine Technik, für die echte, schwere Druckmaschinen benötigt werden. Maschinen, die seit Jahrzehnten nicht mehr produziert werden und vor allem das Know-How diese zu bedienen.
Die Golding Pearl ist eine sehr elegante Druckerpresse. Schmal, leicht und im Stile an das Art-deco der 20er angelehnt. In einem modernen Grafikbüro wirkt sie wie ein Steam-Punk Artefakt aus der Vergangenheit. In Franklin, Massachusets, hat William Golding seine Druckerpressen fabriziert. Nördlich von New York wurde sie letztes Jahr von dem Golding-Experten Nordamerikas restauriert und im Herbst zum Verkauf angeboten. Dann war ich schnell.
Vergangenen Monat hat die Presse sicher verpackt das Europäisches Festland in Rotterdam erreicht. Kurze Zeit später stand die speziell gefertigte Kiste in Innsbruck vor meinem Laden. Den Standplatz hatte ich schon einige Tage vorher leer geräumt. Jetzt steht sie hier und kann sich vorerst an den neuen Kontinent gewöhnen. Drucken musste sie bisher noch nicht, dafür muss ich noch einige Entwürfe als Photopolymerplatten in Auftrag geben. Umschmeichelt wird sie trotzdem von fast jedem Besucher. Und wenn das rhythmische Klackern des Farbtellers ansetzt und sich das Fly-Wheel nach ein paar beherzten Tritten auf das Pedal in Schwung setzt, fasziniert die fast hundert Jahre alte Druckerpresse jeden Besucher, wenn die Vergangenheit plötzlich lebendig wird.
Wer die alte Dame in echt und in Aktion sehen will, kann gerne jederzeit bei mir im Laden vorbeikommen. Damit ich auch sicher im Laden bin, ruft mich bitte kurz davor an oder schreibt ein Mail. Da ich bis Mitte Juli noch mit anderen Projekten eingedeckt bin, wird wohl erst im August das erste Mal Farbe auf dem Farbteller sein.